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IVY’S BAR ist DIE RUINE
Buchmesse 1999
Das Zeichnen war für mich immer eine sehr private Angelegenheit. Deswegen sieht man mich auch selten auf Messen oder ähnlichen PR-Events. Eine Ausnahme war einmal eine dieser Frankfurter Buchmessen. Da fand ich mich vor langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, mit einem in Deutschland weltberühmten Mäusezeichner auf Einladung seines Verlegers in einem vietnamesischen Restaurant zur, wie man mir versicherte, traditionellen Verlagsorgie ein. Der Mäusezeichner war erst etwas kratzig, weil der Verleger ihn abseits der großen Tafel zu mir an den Katzentisch gesetzt hatte, aber dann kam der Co-Verleger des Mäusezeichners ins Spiel, genauer gesagt an unseren Tisch. Der Co-Verleger war ein sehr freundlicher Schweizer mit feinem Humor und einer entzückenden Frau, und er war gleichzeitig Lektor meines Satirebuchs, das mich überhaupt an diesen exklusiven Tisch katapultiert hatte. Ihm kam Gott sei Dank die glorreiche Idee, das orgiastische Element des Abends in Angriff zu nehmen. Da wir uns alle NICHTS unter den fantasievollen Namen der Drinks unserer vietnamesischen Gastgeber vorstellen konnten, wurde beschlossen, die etwa zwanzig Cocktails der Reihe rauf und runter zu trinken. Wir schafften einmal runter sowie halb wieder rauf und so krochen wir schließlich im Morgengrauen gut gelaunt aus der asiatischen Kaschemme. Wir freuten uns diebisch, hatten wir doch alle die Taschen voll dieser billigen Sakegläser, auf deren Boden man immer, wenn sie voll sind, nackte Männer und Frauen sieht. Dieses Billigporzellan steht seit über zwanzig Jahren bei uns in Schrank, missbilligend beäugt vom Meißner Porzellan. Am 29. August 2020 starb der Mäusezeichner und ich füllte aus diesem Anlass eines der Gläser noch einmal mit billigem chinesischen Fusel und stieß mit einem der anderen Bonsai-Humpen an, dem, von dem ich wusste, dass ER daraus getrunken hatte. Er, Uli Stein, der Mäusezeichner, der uns im Rahmen der Verlagsorgie immer zwei vietnamesische Köstlichkeiten voraus gewesen war, und der trotzdem keine Tischdecken signierte, denn im Gegensatz zum rauf-und-runter-Trinken war das Zeichnen für ihn eine sehr private Angelegenheit.
Lino Ventura
Derzeit auf dem Beistelltischchen des nachlässigen Lesers: „Lino Ventura“. Der Szenarist Arnaud Le Gouëfflec und der Zeichner Stéphane Oiry haben dem Hünen des französischen Nachkriegskinos mit einem biografischen Comic ein tolles Denkmal gesetzt. Der Stil von Szenario und Grafik ist wie Ventura: wuchtig, handwerklich sicher, dabei bescheiden, auf das Nötige reduziert und damit very vintage. Gezeichnet wird Ventura als Mann mit der Aura eines Kaminfeuers. Lino Ventura, ein Mann, der das Showgeschäft begriffen hatte: Er sah das Ringen und Catchen völlig unironisch als seine Schauspielausbildung an. Am Rande bemerkt: Wenn ich an Lino Ventura denke, sehe ich Lino Ventura und höre seine markante deutsche Synchronstimme Arnold Marquis immer mit. „Lino Ventura“ ist mir Medizin, wenn mir die oberflächlich hyperventilierende Gegenwart zu sehr auf den Geist geht. Ich hole mich dann mit ein paar Seiten dieses Buchs wieder zurück auf den Boden einer verlorenen Welt. Und möchte dem nächsten Anrufer mit der Stimme von Arnold Marquis zuraunen: „Hier endet der Weg, Freundchen.“
Albert Uderzo über seine Hände
Ich sage immer: Sollte ich irgendwann einen Unfall mit meinen Händen haben, zeichne ich einfach mit den Füßen weiter. Möglicherweise wird das keinen großen Unterschied machen. Uderzo l'irréductible - Entretiens avec Albert Uderzo