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Lino Ventura
Derzeit auf dem Beistelltischchen des nachlässigen Lesers: „Lino Ventura“. Der Szenarist Arnaud Le Gouëfflec und der Zeichner Stéphane Oiry haben dem Hünen des französischen Nachkriegskinos mit einem biografischen Comic ein tolles Denkmal gesetzt. Der Stil von Szenario und Grafik ist wie Ventura: wuchtig, handwerklich sicher, dabei bescheiden, auf das Nötige reduziert und damit very vintage. Gezeichnet wird Ventura als Mann mit der Aura eines Kaminfeuers. Lino Ventura, ein Mann, der das Showgeschäft begriffen hatte: Er sah das Ringen und Catchen völlig unironisch als seine Schauspielausbildung an. Am Rande bemerkt: Wenn ich an Lino Ventura denke, sehe ich Lino Ventura und höre seine markante deutsche Synchronstimme Arnold Marquis immer mit. „Lino Ventura“ ist mir Medizin, wenn mir die oberflächlich hyperventilierende Gegenwart zu sehr auf den Geist geht. Ich hole mich dann mit ein paar Seiten dieses Buchs wieder zurück auf den Boden einer verlorenen Welt. Und möchte dem nächsten Anrufer mit der Stimme von Arnold Marquis zuraunen: „Hier endet der Weg, Freundchen.“
Albert Uderzo über seine Hände
Ich sage immer: Sollte ich irgendwann einen Unfall mit meinen Händen haben, zeichne ich einfach mit den Füßen weiter. Möglicherweise wird das keinen großen Unterschied machen. Uderzo l'irréductible - Entretiens avec Albert Uderzo
Die Woche mit Ivy (49/22)
Die Woche mit Ivy (48/22)
Der sehr lustige Comiczeichner Dan Piraro schreibt auf seiner Website bizarro.com jede Woche zu den Strips der vergangenen Tage auch ein paar Worte. Diese Gedanken landen in seinem Blog. Ich liebe die Idee, auch für IVY’S BAR! Also. Was gab es letzte Woche? Nach längerer Pause wieder neue Strips! Essen, Trinken und die Unendlichkeit des Universums machen uns zu dick, besoffen und verzweifelt. Trost bringt dieser Strip, der mir morgens beim Zähneputzen einfiel. A.L.F., die einzige lustige Puppe, die kein Muppet ist. Warum haben sie ihn eigentlich zurück nach Melmac verfrachtet? Es muss eine Verschwörung der Katzen sein. Ich kann mich nie für etwas entscheiden. Das ist lästig, steht man, so veranlagt, doch so letztlich oft mit leeren Händen da, ob sich das nun aufs Essen und Trinken oder eine Weltkarriere als Herrscher des Universums bezieht. Eine spontane, unentschlossene, aber unwiderstehlich charmante Antwort kann die Lösung sein. Immer mal wieder fällt mir was ein, während ich durch irgendeine Social-Media-Timeline schliddere. In diesem Fall stolperte ich über Ich bekam keine Antwort und musste alles selber trinken. Die meisten Menschen, die hinter der Theke arbeiten, sind bewundernswert als pragmatische Akkordarbeiter, die kaum Zeit für pathetische Rückschau haben. Entsprechend ist die romantisch-verklärte Barfrau ein metaphysisches Konstrukt. Wenn sie doch existiert, dann abseits der Partymeilen, wo sie während ihres Lebens unzählige Kisten Weinbrand und noch mehr Lebern verbraucht, bevor sie mit Ende dreißig letal vom Hocker fällt. Der hier war schon ein Klassiker, bevor er mir beim Zähneputzen einfiel. Vor allem fand ich, dass meine Protagonisten nach einer Woche Comics in später Nacht ein Katerfrühstück verdient hatten. Außerdem finde ich, dass die beiden mit klassischen RayBans einfach sehr cool aussehen. Das war die Woche in IVY’S BAR. Von Dan Piraro erfahre ich übrigens im Blogeintrag dieser Woche, dass man den Namen des Vaters der “Peanuts”, Charles Schulz, nicht “Schultz” ausspricht, sondern “Schuls”. Wobei seine Freunde ihn nur “Sparky” nannten. Sparky wäre letzte Woche hundert geworden. Herzliche Glückwünsche in den Peanuts-Himmel, wo er wahrscheinlich gerade mit Snoopy herumtollt. Habt eine schöne Woche!
René Goscinny – Beruf: Humorist
René Goscinny – der Erfinder von Asterix und dem kleinen Nick. Für Frankophilen ist hier ein Buch, das perfekt kuratiert ist – dank Goscinny-Tochter Anne und Guy Vidal, dem Freund und Nachfolger Goscinnys beim legendären Comicmagazin Pilote. Dabei ist es opulent bebildert, oft mit der Faksimile-Reproduktion ganzer Comicseiten. Hier allerdings ist das Format ein großer Wermutstropfen: Indem die Ausgabe kleiner ist, als ein DIN-A4-Blatt (etwa halb so groß, wie ein sechzehn-Zoll-Laptop-Monitor), benötigt man auch mit guten Augen eine Lupe, um die Arbeitsbeispiele voll zu würdigen. Ich frage mich, warum der Dargaud-Verlag bei der Biografie seines Goldesels so geizt, während er dem (von Goscinny und auch von Guy Vidal betexteten) Zeichner Morris, einen doppelt so großen Biografieband widmete. Beim Mitbewerber Dupuis bekam übrigens selbst der Spirou-Chefredakteur Yvan Delporte ein Coffee Table Book spendiert, das außerdem fast doppelt so groß war wie die Morris-Hommage. Ich hab ein wenig den Verdacht, dass hier in letzter Sekunde ein kleineres Format gedruckt wurde, als geplant – denn selbst in Frankreich haben es Comics und damit ihre Autoren, Zeichner und Verlage, immer schwerer, wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Das Buch gibt’s bei Amazon
F. K. Waechter
In der Warteschlange poppen
Die dritte Staffel der Superhelden-Persiflage „The Boys“ auf Amazon Prime fängt an mit einem fingernagelkleinen, schwulen Superhelden, der seinem Lover nackt und erigiert in die Harnröhre klettert, um ihn von dort zu stimulieren. Leider muss der Kleine dann niesen, wodurch er wieder auf normale Menschengröße aufpoppt, was den Lover förmlich zerfetzt. All das zeigt Amazon Prime kompromisslos explizit und mit visuellen Effekten auf der Höhe der Zeit.
Fun Fact 1: Bei Twitter-Ads wurde ich schon für weit weniger Explizites als diese Beschreibung gesperrt.
Der Sohn kommt zurück aus dem Berliner Berghain (das ist diese große Disco hinter Getränke Hoffmann) und erwähnt Leute, die schon in der Warteschlange poppen.
Warum erzähl ich das. Weil man mir sagte, meine Comics seien altbacken, nicht auf der Höhe der Zeit. Indes kenne ich Koks, Suff und bekloppte Exzesse, an- und ausgezogen, daheim und unter Leuten. Ich weiß aber auch, dass man sich nach den Exzessen dieselben Fragen stellt, dieselben Ängste hat, wie wenn man sich besäuft, voll bekleidet oder nicht, in der Disco hinter Getränke Hoffmann oder vor dem Sonntags-Tatort. Also: Altbacken, my ass. Jeder Bäcker weiß, dass ein Brot mehr Aroma bekommt, wenn man altes Brot einweicht und in den frischen Teig gibt.
Es gab Momente, in denen ich Ivy bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausgezogen gezeichnet habe. Grad tu ich das nicht, denn ich brauch das grad nicht, um zu erzählen, was ich erzählen will.
Fun Fact 2: Nackt ist Ivy im Grunde immer, wenn ich sie zeichne, bevor ich ihr das kleine Schwarze von Coco Chanel übertusche. Vielleicht biete ich bei Steady irgendwann mal einen Nude Patch an für meine Comics. Ivy im Berghain, muhahaaa.
Und die dritte Staffel „The Boys“ fängt nicht nur in sexueller Hinsicht ziemlich geil an. Obwohl ich lieber noch eine Staffel „Ozark“ gehabt hätte und am liebsten mit Julia Garners großartiger Ruth Langmore.
Sockenschuss
Ich sehe die westliche Welt derzeit als Titanic: Da stehen wir, hilflos angesichts des intellektuellen und kulturellen Rückschritts. Einerseits kann sich jeder ausdrücken, andererseits töten wir den Dialog, die Nuance, die Reflexion. Wir schießen uns auf mehreren Ebenen ins eigene Knie. Aber das ist Teil dieser Titanic-Reise und irgendwann wird die Kugel durch den Fuß gehen, dann durch den Bauch der Titanic und dann kommt das Wasser. Enki Bilal